Endlich schaut das Wetter viel versprechend aus. Zu acht machen wir uns auf ins weit entfernte vorgeschobene Basislager. In zwei verschiedenen Gruppen zu je vier Personen wollen wir den Gipfel erklimmen. So ist unser Plan. Es soll aber ganz anders kommen…

Schon wieder wartet uns der mühsame Weg ins Lager 1. Während eineinhalb Stunden gehen wir über den steinigen, immer mehr ausapernden Gletscher ins Tal hinein, um uns dann die
500m hohe, steile Firn-Eisflanke hoch zu arbeiten. Von dort führt uns der Weg ganz sanft
in unser Lager. Wir meinen zu erkennen, dass die Schneefälle der letzten Tage nicht so stark gewesen sind, wie wir befürchtet haben. Voller Motivation machen wir uns schwer beladen am nächsten Tag in das nächste Lager auf. Das Auspickeln der eingefrorenen Fixseile bedeutet Schwerstarbeit. Zum Teil sind sie über 10cm im blanken Eis versteckt. Ich versuche krampfhaft, im senkrechten Eis mit meinem Eisgerät nicht auf das Seil zu hacken. Auf 6200m erleben wir eine erste Überraschung: Es lieg weitaus mehr Schnee als angenommen und die grosse Lawinengefahr macht uns zu schaffen. Die Spurarbeit gleicht einem Radrennen, bei dem der Mann an der Spitze nach 30m auf die Seite tritt, alle andern
vorbeilässt und sich hinten anstellt…
In einem steilen Hang erschrecken uns die Wummgeräusche und bringen uns Ernüchterung. Zum Glück bleibt der Hang dort, wo er sein soll. Wir entscheiden uns zur Umkehr. Aber wie soll es weitergehen…? Wir hoffen, dass sich die ganze Situation anderntags mit
der Sonneneinstrahlung gebessert haben wird. Die meisten von uns tragen ihr Lagermaterial bei sich. Nur Hans und ich haben die benötigte Ausrüstung genau oberhalb des sehr kritischen Hanges deponiert. Deshalb verbringen wir zwei die Nacht einzig in unserem Daunenanzug. Am nächsten Morgen wird der Hang von uns nochmals ausgiebig begutachtet, worauf wir gemeinsam entscheiden, keine Risiken einzugehen, was für uns letztlich ABSTIEG bedeutet. Kurz vor Lager 1 werden zwei von uns von einer Lawine überrascht, welche wenige Meter an ihnen vorbeidonnert. Der Entscheid zum Abstieg ist richtig gewesen!
Im Lager 1 erhalten wir die neue Wettermeldung, welche besagt, dass das schöne Wetter bis am Montag, und nicht wie vorhergesagt nur bis Samstag, schön bleiben wird. Tolles Wetter und Lawinengefahr, was will man mehr…?! Hier im Lager können wir nicht warten, denn es gibt weder Essen noch Gas. Also steigen wir ins ABC ab.

Wir schalten einen Ruhetag ein und finden viel Zeit zum diskutieren. Wie weiter? Wir sind so nahe an einem Erfolg, aber doch so weit davon entfernt. Heute wäre der geplante Gipfeltag, und wir sitzen alle im ABC. Wir hören die Funksprüche ab und vernehmen, dass eine andere Schweizer Expedition auf dem Gipfel steht. Auf den Tag genau vor 50 Jahren wurde der Gasherbrum 2 erstbestiegen. Meine Gedanken lassen mir keine Ruhe: Was sollen wir tun? Jeder denkt nach. Am Schluss bleiben drei Bergsteiger übrig, die nochmals
einen Versuch wagen und das Risiko eingehen wollen und die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Wärme die Schneedecke verfestigt hat.

Ueli, Hans und ich steigen nochmals ins Lager 1 hoch. Punkt neun Uhr sind wir dort. Wieder geht das Warten los. Die Hitze hier auf 5750m ist unerträglich. Wir hoffen, dass sich der Schnee in der Höhe verfestigt hat.
Um drei Uhr klingelt der Wecker. Wir starten bald und kommen auch zügig in die Höhe. Zum traumhaften Sonnenaufgang befinden wir uns bereits am Ende der Fixseile. Der Schnee hat sich verändert. Trotzdem durchsteigen wir mit einem komischen Gefühl im Bauch den heiklen Hang und erreichen unser zurückgelassenes Lager 2 mit dem gesamten Material. Wir sind erleichtert!

Der Wecker klingelt um 22 Uhr und draussen ist es empfindlich kalt. Der Vollmond scheint auf die Bergflanken, doch wir müssen im Schatten aufsteigen. Schnell kommen wir auf unserer Spur vorwärts, die wir bis 7100m am Vortag noch gespurt haben. Hier fängt die Schwerstarbeit wieder an und die 300 Höhenmeter bis auf den Grat verlangen unsern vollen Einsatz. Die kurzen Stellen mit Blankeis müssen wir umgehen. Dazwischen stampfen wir durch hüfttiefen Schnee. Wir befinden uns in einem 40-45 Grad steilen Hang und orientieren uns im Stirnlampenlicht. Endlich kommen wir unter der Wechte durch und gelangen auf den Grat. Die Tour wird zur Grattour und beidseits unserer Spur stürzen die Hänge steil hinunter. Hoffentlich fallen wir nicht mit der Wechte nach China oder mit einem Schneerutsch nach Pakistan hinunter!
Plötzlich stehen wir vor einer unüberwindbaren Wand, die in der Nacht gewaltig aussieht. Wir glauben, sie nicht überwinden zu können. Trotzdem tasten wir uns näher und
entdecken plötzlich ein Couloir. Wir steigen höher und höher. Die Spurarbeit und die dünne Luft machen uns zu schaffen. Ausgerüstet mit einem Pickel, einem Skistock, 50m Kevlarseil und zwei Eisschrauben steigen wir die 200 Höhenmeter voll konzentriert weiter. Im 55 Grad steilen Couloir steigen wir bei sehr schlechten Schneeverhältnissen alles seilfrei hoch.

Genau um 7 Uhr am 10. Juli 2006 stehen wir auf dem Ostgipfel des 7772m hohen
Gasherbrum 2. Wir haben die Erstbegehung von der Nordseite geschafft! Eine Traversierung
zum Hauptgipfel kommt nicht in Frage, da sie sehr viel Zeit beanspruchen würde
und wir einer riesigen Lawinengefahr ausgesetzt wären. Gleich nach den Gipfelfotos
steigen wir wieder hoch konzentriert ab. Wir lassen das 50m Seil an der schwierigsten
Stelle hängen. Kaum ist die Sonne da, wird es auch in der Höhe sehr warm. Nach knapp zwölf Stunden sind wir wieder in unserem Lager auf 6800m. Jeder von uns ist
todmüde. Eine Suppe und ein wohlverdienter Mittagsschlaf geben uns wieder Kraft.

Um fünf Uhr morgens weckt mich Ueli. Ich erwache aus einem schönen Traum an einem warmen
Strand. Als ich aber den Wind höre, der am Zelt rüttelt und mir den Raureif vom Zelt in mein Gesicht schüttelt, werde ich sehr schnell in die Wirklichkeit zurückgeholt. Wir bauen das ganze Lager ab, wodurch unsere Rucksäcke immer schwerer werden. Nach jedem Lager kommt noch viel mehr Material dazu. Mit zwei riesigen Seesäcken und drei schweren
Rucksäcken erreichen wir wieder unsere Eis-Firnflanke. Das Abseilen mit dem riesigen Gepäck ist in den kleinen Schneerutschen nicht einfacher geworden. Die Fixseile lassen wir dort aus Sicherheitsgründen zurück. Es hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen, sie zu entfernen. Zwei unserer Köche warten im Tal auf uns, um uns einen Teil unseres Materials abzunehmen. Schwerbeladen und todmüde erreichen wir kurz vor dem Nachtessen das
Basislager.

Jetzt können wir uns zwei Tage erholen, bis wir mit den Kamelen das Basislager verlassen werden…

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