Die riesige Wechte, die ca. 400m über uns weit in die Wand hereinragt, macht mir Angst. Aber recht viel schneller können wir in der steilen Rinne nicht aufsteigen, um aus dem gefährlichen Bereich zu kommen, da wir uns hier auf über 5000m eh schon die Lunge aus dem Hals keuchen. Endlich kommt eine Gelegenheit nach links auszuqueren, um geschützt unter einem kleinen Serac Pause machen zu können.

Beim dritten Schritt versinken wir bis über die Hüfte im weichen Schnee. Die ganze Schneedecke vibriert dumpf und hohl. Lieber wieder zurück und weiter in der Rinne hoch. Beim nächsten Versuch 50m weiter oben gelingt es und wir können in der Sicherheit einer großen Spalte verschnaufen. Nach nur einer Nacht im ABC auf 4800m ist das Aufsteigen auf den Frontzacken der Steigeisen, vor allem in den Expeditionsschuhen, die den Hebel noch extra vergrößern, ziemlich anstrengend. Außerdem haben wir noch jeweils 150m Seil im Rucksack, um diese ca. 500m hohe Schnee- und Eisflanke, die uns zum eigentlichen Ausgangspunkt der Kletterei bringen soll, zu fixieren.

Die Rinne, in der wir nun durch die zweite Wandhälfte zum Ausstieg klettern wollen, ist deutlich steiler – dafür hängt nur noch eine kleine Wechte oben am Grat, die uns wohl nicht allzu gefährlich werden kann. Michi bindet sich in eine 7mm Reepschnur ein und klettert los. Die Sicherung ist eher platonischer Art – ein Sturz mit einem statischen Seil in eine Eisschraube könnte unter Umständen ungesund enden. Er kommt gut voran und nach 150m verlängern wir das Seil. Nach weiteren 30m bremst der Seilzug ihn aus und er muss Stand machen. Cedric und ich kommen am T-Block gesichert nach. Sofort gehe ich die letzten 60m an. In perfektem Wassereis steilt es noch einmal bis knapp 70° auf. Eine letzte gute Eisschraube bevor es bei fast gleicher Steilheit in tiefen Wühlschnee übergeht. Ich keuche, grabe, wühle – die Eisgeräte gehen immer leer durch, egal wie fest ich zuschlage. Bis zur Brust bin ich im Schnee vergraben – so geht es nicht! In der leicht ausgeprägten Rinne versuche ich mit den Füßen auszuspreitzen – Zentimeterweise schiebe ich mich höher. Jeden Meter muss ich verschnaufen, weil das Wühlmausverfahren mich so fertig macht. Endlich wird der Schnee ein bisschen fester und man kann wieder mit den Eisgeräten arbeiten. Es wird flacher und ich kann mich auf den Grat hochkämpfen – pro Schritt zwei Atemzüge auf 5500m. Oben lasse ich mich auf der anderen Seite in den Schnee fallen: „Stand!“ Am Seilzug merke ich, dass die anderen am Seil aufsteigen.
Wir vergraben 3 Firnanker, verbessern beim Abseilen die Eissanduhren, an denen die Seile fixiert sind und rutschen den unteren Teil der Flanke auf dem Hosenboden herunter. Erschöpft erreichen wir das ABC, wo wir von Koch Intias hervorragend versorgt werden.

Nach einem Ruhetag, an dem Steph, Ueli und Lolo Lager 1 auf 5700m einrichten, bringen wir unser Material ebenfalls dorthin und schaun uns den Weiterweg an. Wieder eine steile Schneeflanke. Im oberen Teil extrem steil und nicht absicherbar. Cedric spurt bis unter die Gratwechte und quert unter dieser nach rechts raus. Stark schnaufend komme ich nach und wir verankern das Seil provisorisch. Nach weiteren 50m auf dem Grat ist Schluss – ein Schneeschwammerl versperrt den Weg. Wir kommen zwar hinauf, aber es geht auf allen Seiten nicht weiter – links die 500m senkrechte Felswand nach unten, auf den anderen Seiten tiefe Gletscherspalten. Wir überlegen kurz, geben uns aber recht schnell fürs Erste geschlagen. Es ist schon relativ spät und nach der Verankerung des Seils kehren wir in Lager 1 zurück und legen uns gemütlich schlafen.

„Meinst die hält?“ Michi hat sich vom Schneeschwammerl aus auf eine Schneebrücke abgeseilt, versucht über diese zu balancieren und ist schon bald drüber. WUUMMMP. Ok, sie hält nicht – Michi steht 2m tiefer. Jetzt kann er dafür mit einem kleinen Sprung auf die andere Seite kommen.
Das nächste Hindernis ist der von unten deutlich sichtbare riesige Bergschrund, der über die ganze Breite zieht. Eine mindestens 4m überhängende Schneewand, in der natürlich keine Eisgeräte halten. Links am Gratabbruch glänzt es teilweise und es ist deutlich flacher, dafür fällt die Wand drunter 500m senkrecht ab. Michi schwingt sich ums Eck und nach kurzer Zeit höre ich den Erfolgsschrei.

Die Wand ist doch ganz schön steil. Wir stehen vor der Schlüsselstelle. Aber vielleicht so rechts rum, über das kurze steile Stück und dann kann man über die Schneerampe gemütlich nach links rausqueren… soweit der Plan.
Ich binde mich ein – immerhin ein dynamisches Halbseil – runterfallen mag ich trotzdem nicht. Die ersten Meter sind schönes Softeis, wunderbar zum Klettern, für Eisschrauben eher ungeeignet. Schön langsam wird es steiler, lieber trotzdem eine Schraube setzen und die Nerven beruhigen. Wenn das doch alles nicht so verdammt anstrengend wäre auf der Höhe… Die senkrechte Stelle ist nicht einmal zwei Meter hoch, aber gerade hier gibt es kein Eis sondern nur weichen Schnee. Und den Fels kann man auseinander nehmen wie Streuselkuchen – wo doch die Chinesen sonst immer beste Qualität liefern. Eisschraube? – 3m unter meinen Füßen. Na dann lieber eine Knotenschlinge nach sächsischem Vorbild. Der Knoten hält sicher – der Fels, in dem sie versenkt ist, sicher nicht. Vorsichtig, möglichst nur mit Stützen und Spreizen mogle ich mich höher. Überall wo die Steigeisen den Fels berühren bröselt dieser davon. Scheißglump, verreckts! Naja, danach wird’s ja leichter…
…habe ich gehofft. Die Schneerampe ist viel steiler, als sie von unten ausschaut. Wieder nur Schnee und „senkrechtes“ Geröll. Nirgends eine halbwegs anständige Sicherung. Schön langsam wird mir das zu blöd! Warum mach ich das hier eigentlich? Da muss man sich fürchten und anstrengen ohne Ende, gibt auch noch elends viel Kohle dafür aus, wo man genauso gut irgendwo in Ruhe am Strand liegen könnte…
Na gut, hilft ja nichts. Also schön vorsichtig weiter. Eine Köpferlschlinge über einen eingefrorenen Felsen gibt einigermaßen ein Sicherheitsgefühl.
Nach 65m-Länge bin ich erstmal platt. Michi kommt nach und führt noch eine anspruchsvolle felsdurchsetzte Eisrinne, die uns wieder zurück auf den Hauptgrat bringen soll. Ich gehe noch die letzten 60m zum Grat hin an, aber das Seil reicht nicht, außerdem habe ich keine Firnanker dabei, um oben einen Stand zu bauen. Also seilen wir ab und ruhen uns zufrieden in Lager 1 aus. So schlimm war’s ja doch gar nicht – oh wie würd‘ ich mich am Strand langweilen…

„Sollen wir uns doch mal aus dem Schlafsack quälen? Ich lieg grad so gut.“ Ueli, Steph und Lolo sind in der Früh voraus, um an unserem Umkehrpunkt weiterzuarbeiten. Cedric und ich genießen noch einen Powerbar zum Frühstück, packen Zelt und Schlafsäcke zusammen und machen uns gemütlich auf den Weg hinter den anderen her. In der letzten Rinne „laufen“ wir auf. Ueli hat sich drei Stunden durch den Schnee auf dem Grat gewühlt und ist doch nicht weitergekommen. An einer Lawinenschaufel wieder abgeseilt und nun versuchen sie die Parallelrinne. Auch hier wird es oben raus unangenehm im tiefen Schnee, aber es funktioniert. Wir steigen nach und bauen auf ca. 6400m ein Zwischenlager auf. Die anderen seilen wieder ab ins Lager 1.

Vom Basislager schaut das alles richtig flach aus, wie eine gemütliche Skitour. Hier oben merken wir, dass man fast durchgehend die Eisgeräte brauchen kann und eigentlich nirgends umfallen sollte, wenn man nicht wieder in Lager 1 sitzen will. In weiträumigem Zick-Zack spuren wir durch oft knietiefen Schnee. Die Gedanken kreisen wieder um den sonnigen Sandstrand – Palmen, Bikinis…
Irgendwann finden wir dann doch einen Platz für Lager 2. Während Cedric mit bloßen Händen eine Plattform schaufelt, spure ich noch über den letzten Hügel, um einen Blick auf den Weiterweg zum Grat (G1-G2) zu werfen. Schon noch mal ganz schön steil, aber irgendwie werden wir da schon hochkommen!
Auch beim Abendessen schweifen die Gedanken wieder mal ab. Ein Weißbier mit Breze im Biergarten – oder auch zwei…

Text: Hans Mitterer

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